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Montag, 5. Juli 2010

Rest the case- Vorsicht Case Study

Nicht nur, wenn es um Social Media geht, lieben wir aktuelle Cases.
Wir können aus ihnen lernen - ganz praxisorientiert ohne theoretischen Überbau. Wir hoffen, sie inspirieren eigene Ideen. Sie werten Präsentationen auf und geben unseren Argumenten Gewicht. Sie helfen Kunden von neuen Strategien zu überzeugen: "Sie mal was andere bereits gemacht haben". Und sie geben uns das gute Gefühl im Trend zu liegen und nicht den Anschluss an eine schnell-lebige Zeit zu verlieren.

Darum sammeln wir Case Studies in Superlisten oder Slideshare-Präsentationen. Wir schicken sie einander über Twitter und Facebook zu und prämieren sie mit dem Like-Button. Auch in der Mittagspause oder bei Events dreht sich das Gespräch schnell über das nächste geniale Praxisbeispiel.

Und darin liegt der erste von drei Gründen, die mich im Umgang mit Case Studies immer vorsichtiger machen: Cases haben die Tendenz zum Muschelgeld einer Branche zu werden.


Muschelgeld? Einige Völker Ozeaniens nutzen noch heute Muscheln, die an einem Faden aufgezogen werden als Währung. Je mehr Muscheln jemand besitzt, desto reicher wird er. Und in etwa so ähnlich kann man sich den Umgang mit Cases vorstellen.
Man kann eben nicht nur aus ihnen lernen, sondern sie auch als Status-Symbole benutzen. Schnell geht es nicht mehr darum, einen Case kritisch zu analysieren und aus ihm zu lernen, sondern ihn möglichst breit an das eigene Netzwerk zu verteilen. Indem man eine neue Muschel auf die Kette zieht, belegt man die eigene Trendsicherheit und Informiertheit. Je mehr Muschel verteilt werden, desto höher das eigene Status-Konto.

Wahrscheinlich ein sehr menschlicher Prozess. Ich erinnere mich an meine Unizeit zurück. Damals ging es nicht um Cases, sondern darum die richtigen Bücher gelesen zu haben. Und in der TV - Branche muss man eben die richtigen Filme und Serien gesehen haben, um mitreden zu können. So gesehen gehört der Case Study Handel zum Spiel der Kommunikationsbranche.

Das Gute daran: Wenn man das weiß, wird der Zwang immer wissen zu müssen, was alle anderen schon Cooles gemacht haben, sehr viel erträglicher.

Zudem ist das, was man aus selbsternannten Erfolgsbeispielen erfährt,oft von jeglichem Kontext befreit. Wir können einem Case die Umstände seiner Entstehung nicht ansehen: Was war das eigentliche Problem, dass es zu lösen galt? Welche Ideen sind als Entwürfe gestorben? Wie lange die Verhandlungen zu seiner Umsetzung waren? Wie groß war das Budget in Wirklichkeit?

Selbst die meisten äußeren Umstände bleiben im Dunkeln:
Warum ist der Case bei seinem Publikum so gut angekommen?
Wie wurde der Erfolg überhaupt gemessen?
usw.

Wir alle wissen zudem instinktiv, dass jede Best Practice, die öffentlich präsentiert wird, geschönt worden ist. Vielleicht auch deshalb, wird es bei Konferenzen auch immer sehr leise und interessant, wenn jemand den Mut findet zu berichten, was er aus einem Misserfolg gelernt hat.

Zu guter Letzt beschränken Cases die eigene Kreativität. Natürlich kann man aus ihnen lernen und es ist gut sich mit ihnen zu beschäftigen - nur nicht, wenn man selber nach einer Idee sucht. Dann haben Best Practice Beispiele den umgekehrten Effekt. Man öffnet das Denken nicht mehr oder hinterfragt die gegebene Aufgabe.
Statt dessen springt man zu den Lösungsansätzen anderer. Lösungsansätze von denen man glaubt - jedoch nicht weiß - sie hätten ein ähnliches Problem gelöst. Viel zu schnell fallen in einem Brainstorming Sätze solche Sätze: "Das ist doch wie...", "Kennt ihr ...., so sollten wir das angehen" "Das macht die Konkurrenz schon..."

Die Folgen: Wir stecken zuwenig Zeit in die Analyse der Aufgabe (weil man die Lösung ja scheinbar schon mal gesehen hat) und vergessen dass aus brancheninterner Inspiration nichts neues entstehen kann. "Out of the box" Denken erfordert nämlich die Box zu verlassen.

Wie wichtig das ist, macht Game Designer und Profi-Jongleur Jesse Schell in seinem Buch "Art of Game-Design" mit dieser herrlichen Geschichte über seinen Besuch bei einer Jonglier-Convention deutlich:
"As I looked around for more examples of techniques to try, there was one juggler who stood out from the rest. He was an old man in a powder blue jumpsuit, and his tricks wre not like the others at all. He used patterns and rythms that were unique, and his tricks, through not astonishing in difficulty, were simply beautiful to watch. [...]
I watched him for about twenty minutes, and suddenly he looked at me, and said "Well?"
"Well what?" I said, kind of embarrassed.
"Aren't you going to try to copy me?"
"I- I don't think I would know how," I stammered out.
He laughed. "Yeah, they never can. Know why my tricks look so different?"
"Uh, practice?," Imanaged.
"No - everybody practices. Look around! They're all practicing. No, my tricks look different because of where I get them. These guys , they get their tricks from each other. Which is fine - you can learn a lot that way. But it will never make you stand out."
"I thought about it. "So where do you get them?" I asked. "Books?".
"Ha! Books. Thats a good one. No, not books. You wanna know the secret?"
"Sure"
"The secret is: don't look to other jugglers for inspiration - look everywhere else".
(Jesse Schell, The Art of Game Design, Burlington/MorganKaufmann, 2008 pp58/59)

I rest my case....


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