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Dienstag, 23. Februar 2010

New TV Kongress Hamburg: Tex Avery wäre der ideale Keynote-Speaker gewesen

Ich war gestern beim NewTV Kongress von Hamburg@work. Im Stadium am Millerntor fanden sich Bewegtbild-Manager und Macher ein, um über die Zukunft von TV Angeboten zu diskutieren.

Die Veranstaltung hat Rahul Chakkara eröffnet. Der Leiter Future Media TV Platforms bei der BBC hat in seiner kurzweiligen Keynote verdeutlicht, dass die Fernseh-Branche einem radikalen Wandel gegenübersteht. Dieser Wandel betrifft die Erwartungen der Konsumenten, die Möglichkeiten der Technologie sowie die Produktions und Geschäftsbedingungen der Sender.

(Chakkara spricht bei newTV )

Die BBC sei auf diesen Wandel sehr gut vorbereitet, so Chakkara, da man sich immer früh und intensiv mit neuen Technologien auseinandergesetzt. Schon lange verstehe sich die BBC nicht mehr als TV-Sender sondern als ein Multimedia Unternehmen, das seine Inhalte überall dort anbiete wo der Konsument sie sehen möchte.

Derzeit werde die Zukunft des Fernsehens von drei Bedürfnissen geprägt, auf die die BBC reagiere.

Interaktivität - Die BBC bietet bereits set längerer Zeit interaktive Services und Spiele über den Fernseher.

OnDemand - Die BBC stellt ihre Inhalte für sieben Tage im iPlayer öffentlich bereit, der auch über Spielkonsolen, wie die Wii erreichbar ist.

Content Konvergenz - Die BBC setzt darauf, dass künftig TV-Inhalte so flüssig mit Informationen aus dem Internet angereichert werden, dass der Medienwechsel dem Konsumenten kein Medienwechsel gar nicht mehr bewusst werde.
Entscheidend dafür ist die einfache Bedienung der Set-Top Boxen die TV und Internet zusammenbringen. Deren Benutzerführung wird in England im Rahmen des Project Canvas entwickelt.

Die Möglichkeiten einer solchen Box machte Chakkara an dem eindrucksvollen Click-Dummy deutlich, den sein Kollege Erik Huggers auf der C21 Future Media Conference in London vorgestellt hat:



Die anschließenden Vorträge und Podiumsdiskussion führten die Ansatzpunkte aus Chakkaras Keynote fort: Es wurde spekuliert, welche Technik die notwendige Interaktivität bringe. Es wurde gestritten, wieviel Interaktivität dem Konsumenten zuzutrauen sei. Den eigentlich wolle der nur mit der Fernbedienung auf der Couch sitzen.
Es wurde gerätselt, ob das Fernsehen der Zukunft wie der Apple App-Store funktioniere oder einen offenen Zugang zum Internet bieten würde.
Es wurde orakelt, wann wir den Bildschirm als Kontaktlinse auf dem Auge tragen. Und natürlich blieb die Frage unbeantwortet, wie man mit neuen Bewegtbild-Formaten Geld verdienen kann.

Obwohl die Vorträge und das Panel spannend waren, fühlte ich mich auf die IPTV Konferenz der Financial Times Deutschland zurückversetzt, die ich 2007 im Rahmen der IFA inhaltlich mitbetreut hatte. Viel hat sich die Diskussionen seit damals nicht verändert.

Ich glaube heute sogar, dass die Kernfrage "Wie verändert sich das Fernsehen?" die Falsche ist.

Denn das Fernsehen verändert sich gar nicht so rasant und überraschend, wie es uns Digital-Enthusiasten, Techniker und Trendforscher glauben machen wollen.

Das hätte ein Keynote-Speaker wie Tex Avery deutlich gemacht.
Dummerweise ist Tex Avery 1980 verstorben. Doch der scharfsinnige Kulturbeobachter Avery hat einen Film über die Zukunft des Fernsehens hinterlassen, aus dem sich fast alle aktuellen Entwicklungen, Branchen-Probleme und Konsumentenwünsche ablesen lassen. Es ist kein aufwendiger Klick-Dummy, kein Interface Konzept und keine Trend Studie. Es ist ein Zeichentrick-Film von 1953:



Der Zeichentrickfilm "TV of Tomorrow" macht deutlich das TV-Innovationen seit 1953 entlang der gleichen kulturellen Mustern verlaufen. Der Wandel des Mediums ist von Wünschen und Versprechungen geleitet, die seit Anbeginn des Fernsehens gleich geblieben sind:

  • Wir wünschen uns immer sehen zu können was wir wollen und interessant finden. (onDemand)
  • Wir wünschen, uns am Inhalt beteiligen zu können. (Interaktivität)
  • Wir wünschen, in den Inhalt eintauchen und die Technik zu vergessen zu können (Usability & Immersion).

Sobald neue Technologien auftauchen, die auf einem dieser Gebiete eine Weiterentwicklung ermöglichen, werden auf das Fernsehen angewendet werden.
Das betrifft 3D-Technologien ebenso wie Social Media-Anwendungen oder jede Vereinfachung des Interfaces. Selbst die iPod Steuerung ist in Averys Film zu finden.

Dahinter steht letztlich noch ein viel tief sitzender Wunsch, den wir an jede Flimmerkiste richten: Wir wollen ein perfektes Fenster zur Welt, dass an Natürlichkeit und Informationsfülle nicht zu übertreffen ist.

Und wir halten an diesem Wunsch, diesem Mythos der technischen Machbarkeit, fest, obwohl wir es eigentlich besser wissen: Selbst das Holodeck in Star Trek oder die Matrix, beides letztlich Visionen des pefekten TV, werden früher oder später als unzureichende Illusionen erkannt werden.

Und Avery zeigt uns noch mehr:

Er macht deutlich, wozu der nach Wunsch nach einem persönlichen Programm führt: Jede Person in seinem Zeichentrickfilm besitzt ein personalisertes Device für sein individuelles Zuschauerbedürfnis. Der 1953 als Gag skizzierte Fernseher der Zukunft integriert wie eine APP auf dem iPhone Content und Design zu einem personalisierten Erlebnis.

"DEN KONSUMENTEN", wie er auf dem Podium des NewTV Kongresses besprochen wurde, gibt es bei Avery schon nicht mehr. Er zeigt individuelle Nutzer. Es sind Charaktere, die thematische Vorlieben und Nutzungssituationen teilen. Es sind Menschen, die Avery man durch emphatische Beobachtung zeichnen konnte und nicht durch statistisch verrechnete Verallgemeinerungen.

Vor diesem Hintergrund war die Vorstellung von WildEarth.tv auf dem NewTV Kongress für mich der spannenste Case. Der Live-Stream Sender sendet Tierszenen aus Nationalparks und hat wirklich eine Nische entdeckt. Er hat sich das alte Web-Cam Prinzip zu Nutze gemacht uns bedient konsequent ein Partikularinteresse mit hochauflösenden Aufnahmen. Und WildEarth.Tv hat damit mehr Erfolg als erwartet. Aus der Web-TV Idee soll, so Thorsten Hoffmann von Global Media Consult, ein PayTV Kanal entstehen. Und die etablierten Sender arbeiten bereits daran, die Idee zu kopieren.

Der große Teil der TV Branche hingegen scheint immer noch dem alten Reichweiten Modell verhaftet. Man kann sich noch kein Geschäftsmodell jenseits der gewohnten Größenordnungen von Nutzerreichweite vorstellen - obwohl die Technologie der Partikularisierung nicht mehr im Weg steht und der kulturelle Wunsch nach einem individualisiertem Programm die Richtung klar vorgibt. Sicher wird das Boradcasting nicht verschwinden, denn Live-Events haben eine wichtige soziale Funktion. Sie geben uns ein Thema, um im Büro drüber zu sprechen. Doch alle anderen Inhalte werden sich zwangsläufig in einen Fächer von fragmentierten Nischen aufsplittern.

Als Avery seinen Film machte, gab es hingegen nur Broadcasting. Es gab weder die technischen Möglichkeiten für ein WildEarth.TV noch für seine Visionen. Darin lag 1953 der Witz seines Film. Die Programmauswahl, die Avery beschreibt, beschränkte sich auf ein paar Kanäle - auf denen aber wie heute nur das Gleiche läuft. Selbst auf dem Mars gibt es nur Western.

Und selbst mit dem Abschlusswitz gibt uns Avery eine klare Botschaft mit: Es ist egal wie groß und interaktiv das TV-Angebot der Zukunft sein wird. Nach einer Weile wird es uns bekannt und langweilig erscheinen. Das Fernsehen wird nie perfekt genug sein, um nicht noch segmenierter, noch interaktiver oder noch immersiver werden zu können. Schon allein, damit neue Devices verkauft werden können, muss es sich verändern. Was neu ist ist die Geschwindigkeit mit der sich die Technologie seit der Digitalisierung wandelt.

Dennoch kann man sich vor diesem Hintergrund die Frage sparen, wie sich das Fernsehen der Zukunft verändern wird. Es verändert sich eben. Punkt.

Die viel spannendere Frage ist, was hindert die Branche diese Veränderungen aktiv zu begrüßen und zu gestalten? Was hindert die etablierten Player - ganz gleich wie groß sie sind - jetzt in Forschung, Entwicklung und Experimente zu investieren, solange das alte Geschäftsmodell noch etwas hergibt?

Die Laborgründungen vom UFALab über das Innovationslabor von SinnerSchrader bis zum Formatlabor der Werbeagentur Nordpol sind Schritte in die richtige Richtung. Sie enttarnen vor allem die stete Frage nach einem funktionierenden Geschäftsmodell als Hemmschuh. Denn ohne Experiment und Risiko wird man es nicht finden können.

1 Kommentar:

  1. Hey wow!
    wirklich großartig was du da so hervorholst. Das Video von Avery ist wirklich genial, gerade die soziologische Komponente fasziniert mich. Dieser Hype, die Suche nach dem ultimativen Kick und dann ist es eh wieder nur Western! ;)

    Du gliederst das meines Erachtens nach genau richtig nach demand, Interaktivität, Usability. Apple macht es ja schon ansatzweise richtig, aber letztlich steht die Technik nicht vor dem Konsumenten, sondern der Konsument hat den Finger am OFF Button.

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