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Donnerstag, 9. April 2009

Don't call it Viral!!! It's spreadable media! - Henry Jenkins über die Verteilung von Online Inhalten

Schon vor einiger Zeit hat MIT Konvergenz-Guru Henry Jenkins einen achtteiligen Report und den passenden Videovortrag auf seinem Blog veröffentlicht. Unter dem Titel "If it Doesn't Spread, It's Dead" beschäftigt er sich mit der Frage, warum sich manche Inhalte im Internet wie von selbst verteilen, während andere von den Nutzern weitestgehend ignoriert werden.



Um diesen Prozess zu verstehen, so Jenkins, müssten sich die Inhaltsproduzenten aus Medien und Werbung zunächst von einer liebgewonnenen Vokabel trennen: Dem Viral.
Bereits der Begriff suggeriere einen passiven Konsumenten, den man mit einem Inhalt infizieren könne, der ihn zwingt diesen an seine Freunde weiterzuleiten.

"The metaphor of "infection" reduces consumers to the involuntary "hosts" of media viruses, while holding onto the idea that media producers can design "killer" texts which can ensure circulation by being injected directly into the cultural "bloodstream."

Die biologische Metapher von "Viral Media" sei deswegen attraktiv, weil sie den Inhaltsproduzenten zumindest in der sprachlichen Sicherheit wiegt, weiterhin die Verteilung von Inhalten unter Kontrolle zu haben. Aber der Gedanke, dass man nur den perfekten Virus-Inhalt produzieren müsse, um eine "Epidemie" von Zuschauern auszulösen, ist, so Jenkins, nichts anderes als ein Festhalten am Broadcastingmodell: Immer noch behauptet ein Sender seine Botschaft unverändert an eine Maximale Anzahl von Empfängern durchdrücken zu können.
Die "magische Virustheorie" verstellt so den Blick darauf, dass die Verteilung von Inhalten durch Konsumenten/Nutzer ist ein freiwilliger Akt ist, dessen Erklärung in einem komplexen Zusammenhang aus sozialen, technologischen, ökonomischen und inhaltlichen Faktoren zu findet ist.

Deshalb schlägt Jenkins die Bezeichnung "Spreadable Media" vor, also Medien die das Potential zur Verteilbarkeit haben, dieses aber nicht aus ihrem Inhalt heraus behaupten. Ein solcher Blickwechsel zwingt aber, den Konsumenten als aktiven Teil der Inhaltszirulation wahrzunehmen. Der Konsument wird vom passiven Wirt eines Viruses zum aktiven Multiplikator, zum freiwilligen "Brand-Ambassador", der Inhalte aus eigener Motivation heraus verteilt.

Dieser Sichtwechsel eröffnet den Raum für neue Fragen:
- Wie schöpfen Konsumenten und Unternehmen Wert durch die Verteilung von Inhalten?
- Welche Eigenschaften geben einem Inhalt das Potential verteilt zu werden?
- Wie profitieren Unternehmen von der Verteilung ihrer Inhalte?

Spreadable Media dreht, so Jenkins, das bisherige Medienmodell um. Denn Konsumenten wählen und tauschen untereinander nur die Inhalte auf den fragmentierten Marktplätzen ihrer Communities aktiv aus, die für sie einen Wert haben. Im Gegenzug sind die Inhalte von einem Aufmerksamkeitsverlust bedroht, die für sich eine festen Ort beansprochen und sich eben nicht teilen lassen.

"Under these conditions, media which remains fixed in it's location and static in it's form fails to generate sufficient public interest and thus drops out of these ongoing conversations."

Die Differenz zwischen beweglichen und unbeweglichen Inhalten beschreibt Jenkins mit der Unterschiedung zwischen stickiness und spreadablilty - die zugleich eine strategische Entscheidung der Inhaltsproduzenten darüber beinhaltet, welche Wirkung und Sichtbarkeit sie für ihre Inhalte wünschen.

"Stickiness seeks to attract and hold the attention of site visitors; Spreadability seeks to motivate and facilitate the efforts of fans and enthusiasts to "spread" the word.[...]

Stickiness depends on creating a unified consumer experience as consumers enter into branded spaces; spreadability depends on creating a diversified experience as brands enter into the spaces where people already live and interact.

Under stickiness, producers, marketers, and consumers are separate and distinct roles; spreadability depends on increased collaboration across and even a blurring of the distinction between these roles."

Über die Frage, welches Inhaltsmodell sich in Zukunft durchsetzen wird, lässt sich nur spekulieren. Aber Jenkins geht davon aus, dass sich Medienunternehmen mittelfristig entscheiden müssten, auf welches Modell sie setzen. Und wenn sie sich auf Speadable Media fokussieren, erfordert das von ihnen, die Beziehung zwischen Produzenten und aktiven Konsumenten genau zu durchleuchten. Denn die Motive der beiden Gruppen unterscheiden sich deutlich.

Für den Produzenten stehen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Er will mit seinen Inhalten entweder Geld verdienen, oder aus werblichem Interesse Aufmerksamkeit für ein Produkt generieren.
Für die Konsumenten ist das Teilen von Inhalten hingegen hauptsächlich sozial motiviert. Intalte zu verteilen, ist ein identitätsstiftender Prozess. Es wertet die Rolle des Verteilers innerhalb seines Netzwerkes sozial auf. Wer den Geschmack seiner Freunde/seiner Community mit einem weitergegebenen Inhalt trifft, positioniert sich als Kenner, Gönner oder Unterhalter. Sogar als Kritiker können sich Konsumenten positionieren, indem sie Inhalte weiterversenden. Doch dann geht es nicht um die gemeinsame Zustimmung, sondern um die gemeinsame Ablehnung des Inhalts. Das gemeinschaftliche Gefühl steht im Vordergrund, sich zusammen mit der Community über einen Inhalt aufzuregen.

Als Beispiel für die vielfältigen Motivationen führt Jenkins den gefakten Polo-Werbespots an, in dem sich ein islamischer Terrorist erfolglos in die Luft sprengt.



Dieser Clip, das zeige die Analyse seiner Verbreitung, sei von den Fans, die ihn Lustig fanden, und Verachtern, die ihn als rassistisch und religiös verletzend ablehnten, gleichermaßen geteilt worden. Denn in beiden Fällen zeigt das Verteilen des Clips, dass Interesse des Senders sich als wertvollen Teil in seine Gemeinschaft einbringen zu wollen.
Oder einfacher: Konsumenten investieren mit dem Versand von Inhalten in ihre soziale Anerkennung innerhalb ihres Netzwerkes. Sie machen einen Inhalt zu einem soziales Geschenk und geben ihm damit eine kontextuelle symbolische Bedeutung, deren Wert sich nicht in Geld ausdrücken lässt.

"It is [not] simply a matter of "good" or "interesting" content -- we do not pass on every bit of interesting information or every clever video. Content is spread based not on an individual evaluation of worth, but on a perceived social value within community or group. [...] n a gift economy, the gifts we share say something about our perceptions of the person we are passing them to as much as they express our own tastes and interests. Most importantly, the exchange of gifts serves to reinforce relations within the community and a badly chosen or ill-considered gift can cause hard feelings. Above all, we don't circulate gifts because advertisers ask us to do so -- and ideally, we'd like to minimize the hard sell contained in such gifts. We might well give someone a shirt with a designer label or even a T-Shirt which promoted a favorite film, but we are unlikely to stuff a catalog in the gift box in hopes that our friend will go back and buy more from the same company."

An diesem Punkt kollidieren, so Jenkins, zwei Wirtschaftskulturen: Die Warenkultur (Commodity Culture) und die Geschenk-Kultur (Gift Culture), die sich durch ihr Motivationssystem unterscheiden.
Das Motivationssystem der Warenkultur lautet Wirtschaftlicher Vorteil während soziale Anerkennung die Geschenkwirtschaft antreibt. Deshlab geraten beide Kulturen in der Medienwelt immer wieder in Konflikt zum Beispiel bei der Musikpiraterie. Hier schädigt das soziale Motivationssystem der Konsumenten ("Ich will meine Musik mit meinen Freunden tauschen") die warenwirtschaftlichen Interessen der Produzenten ("Ich will pro Musikstück verdienen"). Im Fall von User generated Content, der monetarisiert werden soll, ist es genau umgekehrt. Hier fühlen sich immer mehr User um Ihre Arbeit betrogen, wenn Unternehmen versuchen, aus den kreativen Leistungen der Konsumenten Profit zu schlagen. Und nur, wenn es Produzenten gelingt, in beiden Kulturen zu denken, können sie das Phänomen Spreadable Media verstehen.

Zusammengefasst ist also der Inhalt innerhalb der Gift-Culture weniger wichtig, wie das, was das Versenden dieses Inhalts über den Sender aussagt. Es geht weniger um einen Inhalt, der spricht, als vielmehr um einen Konsumenten, der den Inhalt benutzt, um zu sprechen. Das stellt Unternehmen und Produzenten, die Spreadble Media nutzen wollen, vor Herausforderungen:

Zunächst müssen Sie sich daran gewöhnen, die Kontrolle über die Bedeutung ihrer Inhalte und Marken zumindest teilweise aufzugeben. Denn um Konsumenten zum Verteilen von Inhalten zu bewegen: "Companies must find ways not simply to motivate consumers to talk about their brands, but also enable them to talk through their brands."

Doch genau die Unkontrollierbarkeit der Kontexte in denen Konsumenten Marken zur eigenen Kommunikation aneignen und so die ursprünglichen Bedeutungen verfremden, fürchten Unternehmen und Produzenten. Sie möchten lieber an der Idee festhalten, Ihrer Marke einen fest definierten Bedeutungsrahmen geben zu können.
Doch je fester dieser Rahmen gezogen wird, desto weniger Spielraum lassen sie Konsumenten mit ihren Inhalten zu spielen und risikiern, dass die Marke jeden Wert als Vehikel für sozialen und persönlichen Ausdruck verliert.

Denn ausgerechnet Vieldeutigkeit mache Speadable Media attraktiv, schreibt Jenkins, und bezieht sich auf den Kulturtheoretiker John Fiske, der sich intensiv mit der Frage auseinander gesetzt hat, welche Inhalte warum eingang in die Populärkultur finden.

Für Fiske sind Inhalte in erster Linie das Rohmaterial aus dem sich Konsumenten ihre eigenen Bedeutungen und Freuden im täglichen Leben generieren. Dabei darf man Bedeutung und Botschaft nicht verwechseln. Eine Botschaft beschreibt, für Fiske, die spezifischen Ideen, die ein Produzent in einen Inhalt codiert. Die Bedeutung hingegen ist die aktive Interpretation des Inhalts durch den Konsumenten. Und diese Interpretation, die von seinen sozialen und räumliche Kontexten abhängt, unterscheidet sich immer mehr oder weniger von intendierten Botschaft des Produzenten. Und Populärkultur entsteht gerade immer dann, wenn Konsumenten Inhalte und Produkte in ihrem Alltag mit eigenen Bedeutungen versehen.

"Fiske, thus, puts strong emphasis on the act of interpretation which occurs as a text gets embraced by consumers. He argues a text becomes part of popular culture when consumers recognize and embrace its potential as a vehicle for expressing their own meanings."

Und je mehr ein Inhalt dazu einlädt einge Bedeutungen an ihm zu entwickeln, desto attraktiver ist er, um ihn zu verteilen oder zu remixen. Fiske nennt einen solchen Inhalt einen produzierbaren Text:

"It has loose ends that escape its control, its meanings exceed its own power to discipline them, its gaps are wide enough for whole new texts to be produced in them -- it is, in a very real sense, beyond its own control" (Fiske: Understanding Popular Culture 1989, p.104)."


Das spannende an diesem Ansatz ist, dass Produzenten nicht aufhören müssen, eine klare Meinung zu haben. Sobald sie aber versuchen in Ihren Inhalten eine absolute Eindeutigkeit ihrer Botschaft durchzusetzen, werden diese Inhalte für Konsumenten uninteressant. Wer interessiert sich schon für einen Inhalt, der nur den Interessen eines Unternehmens dient.

"Propaganda is not producerly because it sets too rigid a set of limits over its interpretation."

Bleibt die Frage, wie ein Unternehmen die geforderte Bedeutungsoffenheit schafft.
Fiske bescheibt gleich mehrere ästhetische Prinzipien, um einen Inhalt für die Aneignung zu öffnen: Humor, Selbstironie, Parodie, Vulgäres, Unfertige Ästhetik, Fan-Insider Wissen und Zitate.

Ein gutes Beispiel für Parodie ist der unten verlinkte Coca-Cola Spot. Dessen Bildgestaltung verweist auf das Computerspiel GTA beinhaltet, das für seine Gewaltdarstellungen kontrovers diskutiert wird. In dem Spot jedoch macht eine Flasche Cola aus der Gewalthölle eine heile Welt.



Ein anderes Beispiel, wie Produzenten ihre Hoheit über Inhalte öffnen, sind die Star Trek Animationen auf goanimate.com. Die Plattform erlaubt jedem Nutzer und Fan, Zeichentrickfilme im Star Trek Kontext zu erstellen. So eröffnet sich ein neuer Kanal für Fanfiction, ohne dass ihn die Produzenten akiv kontrollieren. Und gleichzeitig bewirbt jede Animation, den kommenden Star Trek Film.

GoAnimate.com: Kirk twittert


Like it? Create your own at GoAnimate.com. It's free and fun!

Am Ende seiner Analyse kommt Jenkins zu dem Schluss, dass wir noch nicht an dem Punkt sind an dem nur noch gilt: "If it doesn't spread, it's dead".
Dennoch müssten sich die Produzenten von Inhalten mit dieser Art der Rezeption, Ästhetik und Verteilung vertraut machen und ihre Geschäftsmodelle auf Sreadable Media ausrichten.
Zumal Spreadable Media eine Reihe von Chancen eröffne:

Spreadable Media
  • generiert aktive Beteiligung der Konsumenten,
  • schafft eine engere Bindung an eine Marke,
  • macht sie zu Marken und Produktbotschaftern,
  • erreicht auch kleine vernetzte Nischen
  • erlaubt es mit Konsumenten günstig dort zu kommunizieren, wo sie sich befinden - in einer Art, die sie schätzen.
Die größten Risiken hingegen tragen die Unternehmen,
  • die über eine fest etablierte Markenbotschaft verfügen,
  • die besorgt sind über ihre Kontrolle und den Verlust von Geistigem Eigentum.
  • die Grund haben, die Meinungen ihre Konsumenten zu fürchten.

1 Kommentar:

  1. Kleiner Nachtrag:
    US-Planner Bud Cadell hat sich dem Thema ganz ähnlich gewidmet und tolle Infografiken dazu erstellt:
    http://whatconsumesme.com/2009/posts-ive-written/will-i-share-your-branded-content/

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