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Montag, 27. April 2009

Der Mythos vom passiven Mediennutzer

Geht es um Mediennutzung wird immer wieder behauptet, daß klassische Medien passiv rezipiert werden, während neue Medien einen aktiven Konsumenten vor sich haben.
Ich denke hingegen, dass jede relevante (d.h. bewußte) Mediennutzung auf Interesse und der aktiven Anteilnahme des Nutzers am Inhalt beruht. Denn ohne Engagement ist nicht zu erklären, warum wir bei Büchern lachen, bei Filmen weinen, auf dem Sofa über Anne Will fluchen oder bei Computerspielen in fremde Welten eintauchen.

Deshalb ist es zu kurz gegriffen Engagement mit dem Schreiben eines Blog Artikels oder dem Handeln auf Facebook gleichzusetzen. Engagment beginnt, sobald sich ein Nutzer aus Interesse eine Meinung über den Inhalt bildet, den er rezipiert. Dabei ist es zunächst sogar egal, ob diese Meinung positiv oder negativ ausfällt.

Von dem Moment der Beschäftigung mit einem Inhalt, lässt sich dann Anteilnahme in drei Stufen beschreiben*:

Interpretive Engagement: Nutzer eignen sich einen Inhalt aktiv an, sobald sie ein Interesse mit ihm verbinden. Selbst wenn sie den Inhalt alleine rezipieren und er kaum Partizipation erlaubt (wie ein TV-Film) fiebern sie mit oder langweilen sich. In jedem Fall bilden sich die Nutzer eine Meinung in Abhängigkeit von ihrem räumlichen und sozialen Kontext. Beteiligung beginnt, wenn man sich die Mühe macht, einer Sache Aufmerksamkeit zu schenken. Und nur ein in der Rezeptionssituation interessantes inhaltliches Angebot vermag die Aufmerksamkeit zu binden.

Social Engagement: Nutzer reden über Inhalte. Sie haben den Drang ihre Interpretationen auszutauschen und teilen ihre Meinungen innerhalb ihres sozialen Netzwerks.
Vor dem Web 2.0 haben diese Konversationen für Medienmacher und Werber im "Stillen" stattgefunden. Die Medien hatten kaum eine Möglichkeit den fragmentierten Dialogen im Wohnzimmer, im Kino oder vor einem Plakat am Bahnhof zu folgen**. Und aus der "Taubheit" ist wahrscheinlich der Glaube an die Passivität entstanden.
Heute sieht die Welt anders auf: Immer mehr Konversationen über Inhalte werden auf Plattformen wie Facebook, StudiVZ oder Twitter geführt. Die digitalen sozialen Netzwerke machen die Anteilnahme und Meinungsvielfalt der Rezipienten transparent. Wer sonntags dem Twitterstream während des Tatorts folgt, merkt: Von Passivität beim TV Konsum kann keine Rede sein.

Creative Engagement: Die höchste Form der Beteiligung ist die gestaltende Anteilnahme. Menschen suchen nach den Formen des Selbstausdrucks, der mittlerweile User Generated Content heißt. Selbsterdachte Gedichte, Schülerzeitungen, Fanzines zur Lieblingsserie oder Home Video Streifen, gab es auch lange vor dem Internet.
Auch hier haben das Netz und die Digitalisierung die Aktivität nicht geschaffen. Sie haben die Kreativität transparent gemacht, die Distribution erleichtert und die Reichweite erhöht. Aber mit der Transparenz müssen sich Marken- und Medienmacher der Realität stellen, dass die Nutzer ihre Botschaften und Produkte nicht immer im Sinne der Erfinder gebrauchen.

Mein Fazit daraus: Man sollte niemals das Publikum, die Zielgruppe oder einen Menschen unterschätzen. Zwar werden niemals alle Konversationen online geführt werden. Doch allein ihre Existenz beweist, dass sich Medienmacher und Werber jederzeit und bei jedem Medium der Aktivität ihrer Rezipienten sicher sein können.

Vor allem die Werber, die noch immer glauben, dass sie Botschaften linear in Köpfe passiver Konsumenten pressen können, müssen sich von den Konversationen im Netz belehren lassen, dass sie einem Irrglauben aufgesessen sind. Und künftig wird der Erfolg ihrer Aktivitäten nicht nur an der Reichweite bemessen werden, sondern auch an der "Medienresonanz" der Nutzer.

Deshalb ist es so wichtig, die Interessen der Rezipienten/Zielgruppen ernst zu nehmen, ihre nun transparenten Dialoge genau zu analysieren und in die Gestaltung aufzunehmen. Denn nur so lässt sich positive Anteilnahme gewinnen - je mehr desto besser.


*Die Einteilung geht übrigens grob auf die Analyse von Science Fiction Fans des Medienenthnologe Rainer Winters zurück. Seine Studie "Der produktive Zuschauer" hat er bezeichnenderweise lange vor dem Web 2.0 veröffentlicht.
** Aufwendige ethnographische Studien und teilnehmende Beobachtungen mal ausgenommen.

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