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Donnerstag, 30. Juni 2011

Wie man Ideen, Innovationen, Schönheit und Talente auswählt - Eindrücke von der apg-Open Source 2011

Wie jedes Jahr steht die Jahrestagung des Verbands der Marken- und Kommunikationsstrategen (apg) unter einem Motto. Im letzten Jahr ging es um das Verkaufen. In diesem Jahr drehte sich die Veranstaltung unter dem dem Titel "Eene, meene, muh und raus bist Du – wie Selektion unser Leben, Denken und Handeln bestimmt" um die Auswahlmechanismen für Ideen, Talente, Schönheiten und Innovationen.

Mir hat die Veranstaltung durch den gelungenen Mix an Sprechern wirklich großen Spaß gemacht. Umso trauriger war ich, dass ich an der Bierverkostung (Selektion des Geschmacks) und Abendveranstaltung wegen eines anderen Termins nicht teilnehmen konnte.

Die schnellen Notizen, die ich über den Tag gemacht habe, möchte ich allerdings niemandem vorenthalten.



Thomas Osterkorn, Chefredakteur des stern, hat gezeigt, dass die Auswahl der Titelgeschichte viel mit der Erfahrung und dem Bauchgefühl der Redaktion zu tun hat. Auch wenn die Mafo genau weiß, dass der Stern von Machern, Intellektuellen und Progressiven gelesen wird und man hinterher sehr genau herausfinden kann, warum eine Titelgeschichte nicht funktioniert, bleibt die Prognose eines erfolgreichen Titels immer eine Wette mit vielen Unbekannten.



Zwei eiserne Regeln scheint es trotzdem zu geben:
Angela Merkel auf dem Titel ist die sicherste Verkaufsbremse, so Osterkorn.
Insgesamt hätte man bei Crime/Politik-Themen eine Lesequote von 70%. Aber niemand wolle das auf dem Titel haben, anfassen und mit in den Urlaub nehmen. Für mich heißt das, dass Empathie auch der Schlüssel für einen erfolgreichen Titel ist.

Der Neurobiologe Dr. Björn Brembs (www.twitter.com/brembs) beschäftigt sich mit dem freien Willen - vor allem mit dem freien Wille einer Fliege. Die wird in seinen Experimenten an ein Gestell geklebt und ihre Flugentscheidungen durch Hitze beeinflusst.

Bei dieser Vorstellung ist mir nicht besonders wohl im Magen. Auch bin ich kein großer Fan davon, das Verhalten von Menschen und Fliegen zu vergleichen. Nichtsdestotrotz fand ich Dr. Brembs Vortrag sehr kurzweilig und schon deshalb sympathisch, weil er sein eigenes Fach mit einer gesunden Portion Selbstkritik betrachtet hat.


(Foto von Nina Rieke)

Seine Grundannahme "Könnten wir nicht frei wählen, gäbe es uns nicht" steht im erfrischenden Gegensatz zu einigen Vertreten der Neuro-Science oder des Neuro-Marketings, die mit Gehirnscans den freien Willen zugunsten eines Kauf-Schalters im Kopf abschaffen wollen (Was ich sehr bezweifele. Aber das ist eine andere Geschichte)

Der effektivste Weg den freien Willen zu beeinflussen, liegt so Brembs darin eine Situation zu schaffen, in der die Entscheidungsmöglichkeiten begrenzt sind. Allerdings dürfe die Situation nicht so beschränkend sein, dass es dem Menschen auffällt, dass er keine freie Wahl mehr hat.

Ich musste bei seinen Ausführungen zuerst an Disney-Land denken. Innerhalb des Parks hat man zu jedem Moment das Gefühl frei entscheiden zu können, obwohl die Auswahl von Disney begrenzt wird. Es ist also die freie Entscheidung zwischen vier Restaurants, die alle das Gleiche kosten und dem selben Konzern gehören. Und irgendwie ist ein Apple-Store ganz ähnlich.
Diese Sichtweise hat mich inspiriert, künftig noch intensiver über den POS und die Shopping-Experience nachzudenken als bisher.



Armin Morbach, schillernder Herausgeber des TUSH-Magazins vertrat die gänzlich unwissenschaftliche Meinung, dass eine gelungene Auswahl von Schönheit immer aus dem Bauch komme.



Und dieses Bauchgefühl, so habe ich aus seiner bewegten Lebensgeschichte geschlossen, wird vor allem durch den Mut zu Risiko geschult. In seiner Präsentation zeigte er, wie er es aus der deutschen Provinz ohne Geld in der Tasche nach Miami zu Stylisten schaffte und dann zum Fotografen und Magazin Herausgeber. Künstler wollte er dabei nie sein, denn in "Berlin sei heute jeder Depp ein Künstler".

Die wichtigste Lektion für mich war Armins Antwort auf die Frage woher er seine Inspiration nehme. Inspiration komme für ihn aus der Beobachtung des Alltags und auf keinem Fall aus Fashion Shows. Die seien meist eher Langweilig.
Ich finde diese Bemerkung sehr wichtig, weil gerade in der Werbung ein ungesundes Abschauen bei der Konkurrenz herrscht. Die Inspirationssuche bei Ads of the World führt unweigerlich ebenso zum permanenten Kopieren von Best Practice - wie die Inspirationssuche von Modeschaffenden auf einer Fashion Show.

Einen ganz eigenen Weg Innovationsideen auszuwählen hat Ulf Pillkahn von Siemens vorgestellt. Seiner Meinung nach wählen wir meist Ideen mit den falschen Kriterien aus. Besonders zu starkes Effizienzdenken (Was bringt die Idee? Wie hoch ist der ROI?) führe ganz unterbewusst dazu, dass Unternehmen nur die naheliegen, gewöhnlichen und mittelmässigen Ideen anstreben.



Denn "bei 80% der Ideen ist die Unsicherheit im Verständnis der Idee so groß, dass eine zweifelsfreie Beurteilung nicht möglich ist!"

Deshalb setzt er auf den Faktor Zufall bei der Selektion von Innovationsideen. Nach einer Ideenrunde werden neben bewusst ausgewählten Ideen auch eine Hand voll Ideen weiterverfolgt, die durch ein Zufallsverfahren - das Innovation Roulette - ausgewählt wurden. Und oftmals hätten sich gerade diese Zufallsideen bewährt. Deshalb hat er darüber ein Buch geschrieben, das bald erscheint: www.innovation-roulette.com

Bei Lars Stein, dem Gründer von Studienaktie.org, und Ernst Tanner, dem Sportlicher Leiter TSG 1899 Hoffenheim, ging es um die Auswahl von Talenten aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. Während der Profi-Fussball eine harte Selektion schon in jungen Jahren trifft und denen, die es nicht zum Profi schaffen auch eine Exit-Strategie bieten muss, will das Modell von Studienaktie.org allen Menschen Bildung ermöglichen, die sich dafür einsetzen.
Das Social Startup bringt über das Internet Menschen, die etwas lernen wollen und Menschen, die in die Lernwilligen investieren wollen, zusammen - unabhängig von Alter und Studienrichtung. Dabei entstünden schon mal lustige Kombinationen, wie der Versicherungsmakler, der eine Kunststudentin unterstützt.

Richtig hart ins Gericht mit der Werbebranche ging Prof. Dr. Björn Bloching von Roland Berger.



Für ihn sei es kein Wunder, dass eine Branche die bei wachsendem Professionalisierungsdruck unterdurchschnittliche Gehälter zahle, wenig Weiterbildung ermögliche, kaum Aufstiegschancen biete, keine Personalpolitik oder Employer Branding betreibe und die Mitarbeiter in operativen Tätigkeiten verheize von Young Potentials zunehmend ausselektiert werde.
Denn die würden heute viel mehr auf Selbstverwirklichung und Work-Life Balance achten als früher. Gerade in Sachen kreativer Selbstverwirklichung böte die Werbung zwar heute unendliche Potentiale, doch die Rahmenbedingungen stimmten nicht.



Viel zu wenig Zeit hatte Russell Davies, Stratege bei Ogilvy & Mather, Blogger und Konferenzveranstalter. Seine Flugzeiten lagen so ungünstig, dass ihm nur wenige Momente blieben, um über die Selektion von Ideen zu sprechen.

In seinem blitzschnellen Vortrag gab er vier Suchfelder an, in denen er in naher Zukunft das Potential bedeutungsvolle Ideen kommen werden:



Der wichtigste Satz für mich stand allerdings auf einer Folie am Ende seines Vortrages. In ihm steckt sowohl die Krise der Kommunikationsbranche als auch eine Idee wo die Kreativität der Agenturen und Strategen in Zeiten des digitalen Umbruchs künftig gebraucht wird:

"Businesses are looking for new things to sell, not new ways to sell" (Russel Davis)

Vom Markenstrategen zum Intangible Value Designer...könnte das die Richtung sein....

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