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Dienstag, 30. Juni 2009

Der Mensch steht im Zentrum der Kreativität oder im Gefängnis der Tools.

Durch Zufall habe ich den Vortrag"Kommunikation als Seele der Innovationskultur" des Soziologen Holger Rust gefunden, den er bereits 2005 auf einer österreichischen Tagung zum Thema Innovationsfähigkeit gehalten hat.

Seine sehr detaillierten und streckenweise zu wortgewaltig inszenierten Ausführungen kulminieren in einer These, die mich (nicht nur mit Blick auf die Arbeitsweisen in (Kreativ-)Agenturen) ziemlich nachdenklich gemacht hat:

Innovationsfähigkeit/Unternehmenskreativität ist keine Frage von Tools, Technologien oder Managementprozessen. Sie hängt viel mehr davon ab, ob und wie Talente mit Veränderungswillen in einem Unternehmen durch Freiraum gefördert werden.
" Nicht Moden und Methoden, Regeln und Rezepte bestimmen den Erfolg, sondern Individuen, die bereit sind sich zu engagieren. Diese Bereitschaft ist um so größer, je klarer die Möglichkeit dazu eingeräumt wird. Durch die Begeisterung für die Gemeinschaft, in der Wissen produziert wird, in der Verkäufer und Entwickler, Marketingleute und manche junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
zusammensitzen, von denen man noch nicht weiß, wozu man sie eigentlich eingestellt hat.

Denn Kreativität ist nicht das Genie des einzelnen.
Kreativität ist das Produkt einer Umgebung, die Kreativität fördert. Kreativität ist das Resul-
tat herrschaftsfreien Denkens (was nicht heißt, dass die klassischen Hierarchien aufgelöst
würden, ganz im Gegenteil: Ohne Führung wird die Situation des herrschaftsfreien Denkens
nie entstehen. [...]

Eine Kultur der K-Worte: Kommunikation mit Kollegen, Kunden und Konkurrenten
um das Ziel der Kreativität zu erreichen, mit den Methoden der I-Worte: Initiative, Ideen-
reichtum, Innovationsfreude, Intelligenz." (Rust)
Doch Rusts Kritik geht noch weiter: Er sieht besonders den ständigen Wunsch Arbeitsprozesse zu rationalisieren als Grund für die Innovationsmüdigkeit. Prozesse, Standarts, Evaluierungen und Tools versprächen oft nur die Arbeit zu erleichtern oder die Zeit zu schaffen, um sich mit Innovationen beschäftigen zu können. Das funktioniere nicht, so Rust.


In Wirklichkeit schafften Prozessoptimierungen fast immer ein Gefängnis aus Abläufen und Regeln. Der Mensch wird zum Zahnrad im System degradiert und verliert die Fähigkeit frei zu Denken. Schuld daran haben allerdings nicht die Tools. Es sei vielmehr die vorherrschende funktionalistische, technokratische Denkweise in deutschen Unternehmen. Der Denkfehler ist Tools nicht als Hilfsmittel zu betrachten, sondern als Lösung.
" Sie [die Unternehmenslenker] gehen von der Idee aus, dass die ganze Welt ein Problem darstellt, das sich mit Formeln, Modellen und Systemen lösen lässt. Sie verwechseln die wunderbaren Dienst-
leistungen der Software-Erfinder, [...], mit der Lösung aller Probleme.

Sie suchen daher nach ähnlichen Systemen zur Fundierung ihres Denkens, nach einem Vokabular für ihre professionelle Kommunikation. Dabei soll doch das, was erarbeitet wird an Systemen und Erleichterungen („Tools“) den Menschen nur vom Zwang emanzipieren, wiederkehrende Prozesse auch wiederkehrend immer wieder formelhaften aufs Neue zu bewältigen – und dies gemeinsam mit anderen.

Soll dazu dienen, Muße für Nachdenklichkeit und das professionelle Gespräch zu ermöglichen, um die Welt zu verstehen und innovative Kreativität zu entwickeln. So aber, unter dem Druck der modischen Vokabeln mutieren sie zu systemgesteuerten Vollzugsbeamten ihrer eigenen engen Wirklichkeitsvorstellungen, fest eingebunden ins Netzwerk der Traditionen und gut „aufgestellt“. Ihr Ziel: Erfolg. Der Erfolg: Fraglich. "
Ich habe Rusts Kritik für mich so zusammengefasst:
Solange der Glaube vorherrscht, dass sich jeder Unternehmensablauf wie bei einer Maschine prozessoptimieren lässt, bleibt dem Unternehmen die eigene Innovationskraft verschlossen. Die Mitarbeiter sind zu sehr damit beschäftigt, sich mit der scheinbaren Optimierung und Spezialisierung des Tagesgeschäfts auseinanderzusetzen, als eigene Ideen und Gedanken im Austausch zu entwickeln.

Das kostet Motivation. Wer wie am Fließband Vorlagen ausfüllt, findet keinen Raum mehr, um sich einzubringen (Stichwort Entfremdung: Warum tue ich das eigentlich?). Dabei geht der Blick für die eigentliche Aufgabe (Was tue ich eigentlich?) ebenso verloren wie der Bezug zur Wirklichkeit außerhalb der Arbeitsprozesse des Unternehmens.

Betriebsblind nennt man das ganz unwissenschaftlich und sich an die Fließbandszene im Film Modern Times von Chaplin erinnert. Wer kann von dem Tramp unter diesen Umständen noch Mitdenken erwarten.



Den entstehenden Realitätsverlust durch Betriebsblindheit versuchen Unternehmen mit dem Einkauf von Talenten, externen Beratern oder Trendexperten (mit denen Rust zu Hart ins Gericht geht) zu kaschieren. Das ist in etwa so, wie einen alten Motor durch ein neues Ersatzteil oder neuen Kraftstoff am Laufen zu halten. Der Erfolg ist fraglich. Junge Talente sind binnen kurzer Zeit im alten Motor durch Anpassung verschlissen. Der "Turbodiesel" Beratung schnell verbrannt.

Einen Ausbruch aus dem Optimierungskarussel sieht Rust in zwei Punkten:
  • Gelassenheit: Einer kritischeren, gelassenere Haltung Standarts und Prozessen gegenüber. Eine Haltung die Abläufe als Hilfsmitte und nicht als Zwang sieht. Eine Haltung, die erlaubt, Abläufe zu hinterfragen und zulässt, wenn Ergebnisse auf anderem Wege erreicht werden. Oder um es in eine Phrase zu pressen: Know the rules, to break them properly.
  • Zuhören und Loslassen: Eine Kommunikationskultur, die über Prozesse, Tools, Erfahrungen und Hierachien hinweg zuzuhören kann und zum Wandel bereit ist. Dazu ist das Vertrauen nötig, dass Mitarbeiter auch außerhalb der Standardabläufe in der Lage sind, gute Arbeit zu leisten. Das Loslassen der Kontrolle wird belohnt, denn es können Lösungswege jenseits der Standarts entstehen. Und die sind eventuell viel intelligenter als die Alten. In einer solchen Atmosphäre lassen sich Talente fördern, selbst wenn ihre Ideen allen Kenntnissen, Optimierungs- und Managementplänen widerspricht.
Damit binde man nicht nur die jungen Talente an das Unternehmen. Man schaffe erst die Umwelt in der sich Talente entfalten können, so Rust.
"Kreativität und Innovationskraft ist das Ergebnis einer Unternehmensstrategie, das jungen Leuten Entwicklungsversprechen gibt. Früher hatte man einen Ausdruck dafür: Spaß an der Arbeit. Ist das nicht interessant, wie man am Ende auf die einfachsten Dinge zurückkommt, das Menschliche? "
Ich habe mich beim Lesen über mich selbst erschreckt. Oft schwadroniere ich von Kreativtechniken, Ideenmanagement und Enterprise 2.0 und meine damit nur die Tools - nicht den Menschen in seinen Arbeitskontexten. Dabei vertritt Gentry Underwood, Chef Knowledge Sharing bei IDEO, die Meinung, dass jedes Tool unbrauchbar ist, wenn niemand es gerne benutzt oder es nicht in die Unternehmensatmosphäre passt.

Human Centered Design gilt eben auch für Arbeitsabläufe. Es ist wichtig sich zu fragen, wie man die Kreativität von Menschen in einem spezifischen Arbeitskontext fördern kann. Nicht welches Innovationsmanagment-Tool man den Mitarbeitern jetzt aufzwingt.

1 Kommentar:

  1. Eine These, die meine volle Unterstützung erhält und vor allem in allen "Kreativ-Unternehmen" für ganz großen Gesprächsstoff sorgen sollte.

    Als unterstützende Ergänzung ein Gedanke von Clark Shirky (US Today), der sicher Befürworter deiner und Holger Rusts Thesen wäre:

    "A revolution doesn't happen when society adopts new tools, it happens when society adopts new behaviors."

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